Bildungszentrum Wolfen-Bitterfeld lehrt die Praxis
 
Wolfen. "Wie hoch darf die Temperatur bei der Destillation maximal sein? Und wie fängt man am besten das Destillat auf?" Dirk Häble löchert Azubis mit Fragen. Der Chemie-Ausbilder vom Bildungszentrum Wolfen-Bitterfeld bereitet seine Schützlinge auf die praktische Prüfung zur Produktionsfachkraft Chemie vor.
 
"Das müssen sie aus dem Effeff drauf haben", erklärt Olaf Richardt, Geschäftsführer der Bildungsfirma. Sie ist mit 40 Mitarbeitern in der Berufsausbildung eine wichtige Unterstützung für Unternehmen und Berufsschule.
 
Viele Betriebe in der ostdeutschen Chemie sind eher klein oder mittelgroß. Sie können die praktische Ausbildung allein nicht stemmen. "Deshalb bieten wir das als Dienstleistung an", erklärt Richardt. "Aber auch die Großen nutzen das gern."
 

Fast 50 Berufe im Angebot

Gegründet wurde die Firma 1994 als Notlösung, um rund 1000 Lehrlinge aufzufangen, deren Ausbildung durch den Umbruch gefährdet war.
 
Zurzeit absolvieren etwa 450 Azubis einen großen Teil ihrer praktischen Ausbildung im Bildungszentrum - Chemikanten und Laboranten, Mechatroniker, Elektriker und Schlosser. Aktuell gibt es Kurse in 18 Berufen. Für fast 50 Berufe hat das Bildungszentrum Fachleute, Werkstätten und Labors. Zum Beispiel für Chemie, Prozessleittechnik und Hydraulik.
 
Naturgemäß sind die Chemieberufe am meisten gefragt. "Über die Hälfte der Azubis sind aus der Chemie", so Richardt. Viele der 80 Betriebe am Standort haben Lehrlinge im Zentrum.
 
Doch die Zahl geht wegen der geburtenschwachen Jahrgänge zurück. "Die Firmen müssen sich nun auch auf weniger gute Schüler einlassen. Eine neue Herausforderung für unsere Ausbilder", sagt Richardt. "Aber das packen wir."
 

 
LEHRE Bernburger Chemiebetrieb bildet bedarfsorientiert aus. Generationswechsel steht ab 2012 bevor. Seit 1993 rund 200 Lehrlinge ausgebildet.
 
BERNBURG/MZ - Für elf junge Männer beginnt im Bernburger Solvay-Werk ein neuer Lebensabschnitt. Sie werden in dem Traditionsbetrieb eine Ausbildung zum Industriemechaniker, Elektroniker für Betriebstechnik, Chemiekanten und Chemielaboranten machen.
 
Seit Solvay das Bernburger Sodawerk im Jahr 1993 wieder übernommen hatte, wurden bereits rund 200 Lehrlinge zu Facharbeitern ausgebildet. Die Ausbildungsquote von über zehn Prozent "liegt deutlich über dem Durchschnitt der chemischen Industrie", erklärte Werkleiter Thomas Müller. Er lobte bei der Begrüßung der neuen Solvay-Mitarbeiter die Qualität der Berufsausbildung. Erstmals bilde Solvay bedarfsorientiert aus. "Für Sie beginnen jetzt wichtige Jahre, in denen Sie die Weichen für Ihr weiteres Leben stellen", so Müller. Jeder der Lehrlinge sollte die mit dem Ausbildungsberuf verbundenen Chancen nutzen, um sich eine Basis fürs Leben zu schaffen. "Gut ausgebildete Fachkräfte sind gefragt." Bisher habe das Bernburger Unternehmen rund 90 Prozent der Auszubildenden nach der Lehrausbildung übernommen, ergänzte Betriebsrätin Bärbel Koch.
 

"Gut ausgebildete Fachkräfte sind gefragt."
Thomas Müller, Werkleiter Solvay Bernburg

Unter dem Blickwinkel der demographischen Veränderungen bestehe für Lehrlinge mit guten Ausbildungsergebnissen eine hohe Chance, übernommen zu werden. Immerhin beträgt das Durchschnittsalter bei Solvay Bernburg rund 52 Jahre. Ab 2012 steht dem Unternehmen ein Generationswechsel in Größenordnungen bevor.
 
Allerdings musste die Solvay-Personalabteilung feststellen, dass das Durchschnittsniveau der schulischen Leistungen bei den Bewerbern sinke. Noch sei dies für Solvay kein gravierendes Problem, denn man könne aus einer Vielzahl von Bewerbern die besten auswählen. Bereits seit einiger Zeit werbe Solvay aktiv für die benötigten Berufsfelder, dazu wurden Verbindungen zu den Schulen im Landkreis geknüpft, erklärte Jürgen Bojanowski, Ausbildungsleiter bei Solvay.
 
"Wir hatten für dieses Ausbildungsjahr 130 Bewerbungen für elf Azubi-Stellen. Ich hoffe, wir haben die richtigen ausgewählt", fügte er hinzu. Schließlich biete Solvay gefragte Ausbildungsberufe an. "Kniet euch rein in die Ausbildung, denn mit einem guten Abschluss besteht auch die große Wahrscheinlichkeit, dass ihr später in eurem Beruf Arbeit findet."
 
Jedoch sei nach den dreieinhalb Ausbildungsjahren das Lernen und die Weiterbildung nicht beendet. Der technische Fortschritt lasse da keine Atempause zu. "Der Facharbeiterbrief muss nicht das Ende sein der Entwicklung in der chemischen Industrie. Ihnen stehen Wege offen, um später eine Ausbildung zum Meister oder zum Ingenieurberuf zu beginnen", sagte Werkleiter Müller.
 
Die neuen Azubis kommen übrigens durchweg aus der näheren und angrenzenden Umgebung. Die Mehrheit von ihnen stammt aus Bernburg, andere wiederum kommen aus Alsleben, Köthen oder Hecklingen. Ausgebildet werden sie sowohl im Bernburger Werk, als auch bei Solvay-Kooperationspartnern wie dem Bildungszentrum BTZ Bernburg und dem Bildungszentrum Wolfen-Bitterfeld.
 
"Die Bewerbungsphase für das Ausbildungsjahr 2012 ist angelaufen und endet Mitte Oktober", sagte Werkleiter Thomas Müller. Bewerben sollten sich naturwissenschaftlich und technisch interessierte Schüler, die einen Realschulabschluss anstreben.
 

 
Der Leiter des Folienwerks, Thomas Olszowy, mit Azubis des eigenen Unternehmens und der ICL-IP Bitterfeld GmbH sowie der Tricat GmbH. (FOTO: A. KEHRER)BITTERFELD-WOLFEN/MZ. Die Bilanz von Janine Wiedemann kann sich sehen lassen. "Ich habe eine Bewerbung geschrieben und ein Vorstellungsgespräch geführt - dann hatte ich meinen Ausbildungsvertrag in der Tasche", sagt die 19-jährige Dessauerin, die mit dem gestern von Bildungszentrum Wolfen-Bitterfeld eröffneten neuen Ausbildungsjahr den Weg der Chemielaborantin beim Folienwerk Wolfen einschlagen wird.
 
Für sie und die anderen 119 Auszubildenden, die in 17 unterschiedlichen Berufen vom Bildungszentrum mitausgebildet werden, beginnt - wenn man so will - nun der Ernst des Lebens.
 
Und auch der Geschäftsführer der ICL-IP Bitterfeld GmbH, Heiko Mammen, lässt bei seiner Eröffnungsrede keinen Zweifel daran, was die 56 Mitgliedsunternehmen des Bildungszentrums von ihren Schützlingen erwarten. "Um die Facharbeiterprüfung zu bestehen, müssen sie die hoch komplexen Inhalte verinnerlichen und in den Unternehmen und in der Schule eine hohe Leistungsbereitschaft zeigen." So habe man eine "ausgezeichnete Chance", im Anschluss auch übernommen zu werden, denn der Bedarf werde immer größer.
 
Hintergrund ist auch hier der demografische Wandel, der sich bereits jetzt bei den Unternehmen vor Ort bemerkbar macht. Qualifizierte Arbeitnehmer verlassen altersbedingt die Firmen und die Schülerzahlen sinken kontinuierlich. Dem zu erwartenden Fachkräftemangel will man mit selbst ausgebildeten jungen Menschen begegnen.
 
"Doch so einfach ist das nicht", weiß auch Peter Heinemann. Er ist Ausbildungskoordinator der Zellstoff Stendal GmbH und kann schon jetzt nicht mehr alle Ausbildungsplätze besetzen. "Kamen im Jahr 2005 auf zehn ausgeschriebene Stellen bis zu 500 Bewerber so sind es heute keine 150 mehr." Darunter seien immer mehr "ungeeignete Kandidaten".
 
Auch der Geschäftsführer der vor Ort ansässigen Tricat GmbH, Helmut Wenige, macht dies zu schaffen. Zwar habe man mit dem 19-jährigen Max Hendel ein jungen Mann gefunden, der die Ausbildung als Chemikant beginnen und damit auch den Altersdurchschnitt des 40 Mann starken Unternehmens senken wird, doch das Unternehmen plane eine größere Investition und wolle noch in diesem Jahr bis zu acht Facharbeiter einstellen. "Die findet man aber auf dem hiesigen Arbeitsmarkt momentan nicht", sagt er.
 
Dies bestätigt auch der Leiter der Folienwerk Wolfen GmbH, Thomas Olszowy. "Bei uns sind 140 Mitarbeiter beschäftigt", sagt er. Insgesamt habe man neun Auszubildende, vier von ihnen - darunter Janine Wiedemann - beginnen jetzt ihre Lehre. "Die Ausbildung ist ein wichtiger Baustein der Fachkräftesicherung, doch wenn man im Moment an eine Unternehmensexpansion denkt, hat man schlechte Karten, denn es gibt kaum adäquate Bewerber." Was sich für Unternehmen als Problem darstellt, scheint für die Jugend ein Glücksfall. Doch Max Raeder (22) und Daniel Maye (18), die bei der auf Flammschutzmittel spezialisierten ICL-IP GmbH, als Chemiekanten ausgebildet werden, beurteilen den Fachkräftemangel für sich ganz pragmatisch. "Als Auszubildender kann man sich deswegen ja nicht ausruhen, aber der Umstand gibt - was den weiteren beruflichen Werdegang anbelangt - Rückenwind."
 
Das unterstreicht auch noch einmal die stellvertretende Geschäftsführerin des Bildungszentrums Wolfen-Bitterfeld, Renate Schiffel. "Bekanntlich können nicht alle offenen Ausbildungsplätze besetzt werden", sagt sie und macht neben dem demografischen Wandel ebenfalls die mangelnde Leistung der Bewerber dafür verantwortlich. "Darauf zu spekulieren, dass Unternehmen zukünftig auch schlechte Noten akzeptieren, wäre kühn, denn sie können sich keine Qualitätseinbußen erlauben."
 
Doch noch etwas anderes zählt. "Es hört sich immer so an, als würde jeder Auszubildende nach der Lehre die Region verlassen wollen", meint die angehende Chemielaborantin Janine Wiedemann. "Doch mit einem festen Arbeitsplatz und Perspektiven ist man auch motiviert und denkt darüber, dass man hier Fuß fassen könnte und sich damit einen festen Punkt im Leben einrichtet. Oder anders ausgerückt: Hier zu bleiben, ist eine bewusste Entscheidung."